Bild nicht mehr verfügbar.

Der Innsbrucker Quantenphysiker Rainer Blatt im Labor und damit in seinem Element: Derzeit hadern er und seine Kollegen mit den Platzproblemen an der Universität Innsbruck.

Foto: APA/GINDL

STANDARD: Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Ionenfallen. Warum?

Rainer Blatt: Es handelt sich hier um eine Technologie, mit der man geladene Teilchen im Vakuum festhalten und für eine Messung zugänglich machen kann. Diese Fallen sind extrem stabil, viel stabiler als alle anderen Werkzeuge, die wir zur Speicherung von Atomen verwenden können. Sie sperren das Atom am Montag ein, und Tage später ist es immer noch drinnen. Der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Paul hat sie in den 1950er-Jahren entwickelt. Er war übrigens der Doktorvater meines Doktorvaters, weshalb ich schon als geistiger Enkel von Wolfgang Paul bezeichnet wurde.

STANDARD: Wie kam es dazu, Ionenfallen für die Herstellung von Quantencomputern zu verwenden?

Blatt: Ignacio Cirac, Peter Zoller und ich hörten 1994 einen Vortrag von Artur Ekert, der von den Möglichkeiten eines Quantencomputers sprach. Ich hatte damals keine Ahnung davon, ich kannte nicht einmal die Vorlesungen von Richard Feynman über das Thema. Die Grundlage für unsere Experimente waren dann die Erkenntnisse von Cirac und Zoller, wie man mit gespeicherten Ionen tatsächlich Quantencomputer bauen kann. Es geht dabei, vereinfacht gesagt, darum, Quantenbits herzustellen. Und dafür ist es notwendig, das Wichtigste an der Quantenmechanik zu erhalten: die Überlagerungen. Die brechen schnell zusammen, wenn ich ein Teilchen mit einem anderen unkontrolliert wechselwirken lasse. Ich muss es also von allen Störungen fernhalten. Da eignet sich die Ionenfalle ganz exquisit dazu. Wir haben die Ionenfalle übrigens ganz gut kultiviert und weiterentwickelt. Man spricht bei dem von uns verwendeten Design international auch von der "Innsbrucker Falle".

STANDARD: Um einen Quantencomputer herzustellen, müssen Sie wohl Teilchen wechselwirken lassen. Wie funktioniert das, können die Überlagerungen dabei erhalten bleiben?

Blatt: Ja, das ist möglich. Dazu muss man die gespeicherten Ionen sehr präzise ansteuern und manipulieren, was wir mithilfe eines kleinen Ionenfallenprozessors machen können. Für die Darstellung von Quantenbits gibt es aber verschiedene Techniken, mit deren Hilfe diese Prozessoren einmal gebaut werden können. Dabei ist die Ionenfalle eine der vielversprechendsten Technologien. Deren Vorteile und Rechenmöglichkeiten nutzen ja gerade Überlagerungen aus, um Probleme lösen zu können, die klassisch kaum oder nicht berechenbar sind. Welche Technologie tatsächlich in Zukunft einmal den Bau eines großen Quantencomputers ermöglicht, ist aber völlig offen. Derzeit werden vor allem supraleitende Schaltkreise für die Entwicklung eines Quantencomputers untersucht. Letzten Endes stehen wir aber alle vor der großen Frage: Wie können wir all diese Techniken zu größeren Einheiten skalieren? Wir haben ja bereits die Lego-Bausteine, aber noch keinen leistungsstarken Quantencomputer, der jetzt schon mehr kann als herkömmliche Rechner.

STANDARD: Wo liegt die Antwort auf diese Frage?

Blatt: Wir versuchen es, indem wir mehrere kleine Einheiten zu einer großen vernetzen. Das kann man eine Art Grid-Computing nennen, manche sagen Quanteninternet. Das sind aber Schlagwörter, die ich nicht schätze. Es ist ein verteiltes Rechnen. Wir verknüpfen die Rechner mit optischen Fasern und übertragen die Information mit Lichtgeschwindigkeit. Eine der Herausforderungen ist: Wie baue ich Schnittstellen, um die atomaren Quanteninformationen in Photonen umzuschreiben, damit sie über die Leitung zum nächsten Rechner gelangen können? Das gelingt mit Spiegeln, wie Tracy Northup in meiner Gruppe gezeigt hat. Auf diesem Gebiet haben wir in den nächsten drei Jahren noch große Pläne, zum Beispiel wollen wir hier einen Quantencomputer am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation IQOQI und einen 400 Meter weiter an der Uni Innsbruck aufstellen – und diese beiden verknüpfen. Wenn wir das schaffen, haben wir wirklich alles gemacht, was wir uns für diesen Bereich vorgenommen haben.

STANDARD: Sie sind mittlerweile 62. Ist das Ihr großes Ziel vor Ihrer Emeritierung?

Blatt: Ich habe noch viele Ziele, die ich Ihnen aber nicht alle verraten werde. Das ist nur eines. Ein anderes ist: Ich würde gerne mit Quantencomputern eine Rechnung demonstrieren, die umfangreicher und schneller läuft, als das mit herkömmlichen Rechnern möglich ist. Wir sind nicht sehr weit davon entfernt. Fünf Jahre habe ich noch, das könnte sich ausgehen.

STANDARD: Was macht Sie da so sicher?

Blatt: Der Supercomputer in Jülich gelangt an sein Limit, wenn er ein System von mehr als 42 Atomen berechnen soll. In Innsbruck steht bereits eine Ionenfalle, mit der wir 40 Atome kontrollieren wollen – das klappt noch nicht so, wie ich mir das vorstelle, aber wir sind auf einem guten Weg. Wenn uns das gelingt, können wir erste Simulationsrechnungen machen, die man auf einem klassischen Computer nicht mehr machen kann. Es gibt dabei natürlich Konkurrenz: Gruppen, die von Google, IBM oder Microsoft finanziert werden. Was die Algorithmen betrifft, sind wir da vorneweg. Was die technologischen Entwicklungen anbelangt, haben wir einen entscheidenden Nachteil: die mangelhafte Infrastruktur.

STANDARD: Fehlt es am Geld oder auch am Platz, die Geräte aufzustellen?

Blatt: Am Geld fehlt es eigentlich nicht. Wir haben Mittel für ein Quanten-Nano-Zentrum erhalten. Das sind immerhin 3,8 Millionen Euro. Aber wir können das nicht umsetzen, weil wir dazu den sehr beengten Raum adaptieren und umbauen müssten. Da braucht es Bewilligungen. Und um die zu ermöglichen, renne ich derzeit im Kreis, von Pontius zu Pilatus. Ich frage mich dabei langsam, ob man nicht will, dass wir in der Quantenphysik Weltspitze bleiben. Es geht da nur um Mauern, die man vielleicht ein wenig verrücken müsste, nicht um mehr. Dass es daran scheitert, kann doch nicht wahr sein! Ich stoße auf ein Konglomerat an Bürokratie und mangelndem Entscheidungswillen. Da rede ich gar nicht vom Haus der Physik, das uns auch schon oft versprochen wird und vielleicht irgendwann gebaut wird, wenn ich längst emeritiert bin. Da rede ich von dringenden Maßnahmen, um Platz zu schaffen. Wir sind so sehr beengt, dass manche Besucher nur noch den Kopf schütteln.

STANDARD: Was kann diese Entscheidungsprozesse beschleunigen?

Blatt: Die Zukunft eines Landes wie Österreich hängt in erster Linie davon ab, wie gut wir unsere jungen Leute ausbilden, sie an die Spitzentechnologie heranführen und ihnen zeigen, wo zukünftige Möglichkeiten für neue Anwendungen sind. Daher ist politische Weitsicht gefragt: Es ist wichtig, Zeichen zu setzen für eine Region und ein Land, damit unsere Universitäten auch international mithalten und sogar führend tätig sein können. Die Rahmenbedingungen dafür müssen aber durch politische Entscheidungen geschaffen werden. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 18.2.2015)