D-Wave Quantencomputer verwendet von VW
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Science

"IBM-Quantencomputer kann nicht mehr als normale Computer"

Der US-Konzern IBM überraschte am Dienstag mit einer vermeintlichen Sensationsmeldung. Mit dem IBM Q System One will man noch dieses Jahr erstmals einen Quantencomputer für kommerzielle Zwecke verfügbar machen. Bislang fand man diese neue, leistungsfähigere Generation von Computern ausschließlich in Labors. Großkonzerne sollen noch 2019 auf diesem System komplexe Berechnungen durchführen können, die selbst mit modernen Supercomputern nicht möglich wären: Von Simulationen von winzigen Molekülen bis zu gewaltigen Städten.

Doch für Wolfgang Lechner, Assistant Professor an der Universität Innsbruck, weckt IBM hier falsche Erwartungen: „Der IBM-Quantencomputer kann nichts, womit man derzeit einen klassischen Computer schlagen könnte.“ Lechner beschäftigt sich mit Quantenalgorithmen und forscht unter anderem am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck. Durch das Institut, an dem unter anderem Rainer Blatt und Peter Zoller tätig sind, gilt Österreich als eine der weltweit führenden Regionen bei der Entwicklung von Quantencomputern.

Quantencomputer sind oftmals selbst für Experten nur schwer erklärbar. Vereinfacht ausgedrückt: Während ein herkömmlicher Computer Informationen als Bits beschreibt, die einen von zwei Zuständen – 1 oder 0 – einnehmen können, nutzen Quantencomputer sogenannte Quantenbits (kurz Qubits). Diese Qubits machen sich verschiedene Effekte der Quantenphysik zunutze, um mehr als einen Zustand gleichzeitig einnehmen zu können.

Frühe Phase in der Entwicklung

„Wir versuchen derzeit herauszufinden, wie man diese Qubits nutzen kann, um spezifische Berechnungen effizienter zu machen“, erklärt Lechner. Obwohl Quantencomputer potenziell leistungsfähiger als moderne Supercomputer sind, können sie vorerst nur sehr spezifische Berechnungen durchführen. „Würde man die Situation mit der Entwicklung klassischer Computer vergleichen, sind wir gerade noch in der Phase, in der die Transistoren so groß waren wie Schränke.“

Wolfgang Lechner von der Uni Innsbruck

Das Konzept von Quantencomputern existiert schon relativ lange, doch erst seit den Neunzigerjahren wird intensiv daran geforscht. „Der damals entwickelte Shor-Algorithmus hat gezeigt, dass die Primfaktorenzahlenzerlegung mit einem Quantencomputer exponentiell schneller durchgeführt werden kann“, sagt Lechner. Davor war unklar, ob Quantencomputer überhaupt einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber herkömmlichen Computern bieten können. „Wir stehen noch am Anfang der Entwicklung. Bei der Apollo-Mission wurde auch alles mit Rechenschiebern nachgeprüft. Wir sind es mittlerweile einfach gewöhnt, dass Computer vieles besser können als wir.“

Warten auf Quantenvorherrschaft

Im Zuge der nun laufenden „zweiten Quantenrevolution“ arbeiten Forscher weltweit an einem frei programmierbaren, digitalen Quantencomputer. „Diese Systeme sind noch relativ weit weg vom kommerziellen Einsatz, das dauert wohl noch 30 bis 40 Jahre“, erklärt Lechner. Die meisten modernen Quantencomputer seien analoge Systeme, bei denen ein physikalisches System in einem Labor spezifische Berechnungen durchführt. Auch die US-Wissenschaftsakademie NAS rechnet im kommenden Jahrzehnt noch nicht mit kommerziellen Systemen auf dem gewünschten Leistungsniveau. Selbst IBM räumt in seiner Presseaussendung ein, dass der Q System One nur „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kommerzialisierung von Quantencomputern“ sei.

Dennoch sehen viele Unternehmen und Staaten die Zeit von Quantencomputern gekommen und investieren stark in diese Technologie. Google will unter anderem dieses Jahr den Beweis für die sogenannte „Quantum Supremacy“ (Quantenvorherrschaft) vorlegen. Dabei soll der von Google entwickelte 72-Qubit-Quantencomputer Bristlecone ein derart komplexes Problem lösen, das selbst die schnellsten Supercomputer der Welt überfordert. Dazu kooperiert man mit der US-Weltraumbehörde NASA, die die Ergebnisse mit ihrem Supercomputer Pleiades überprüfen soll. Die Ergebnisse werden für Juli erwartet.

EU baut eigene Quantencomputer

Auch VW kooperiert mit Google und erstellt mit Quantencomputern der Firma D-Wave Algorithmen für Verkehrsleitsysteme und Simulationen von Batterien für Elektroautos. Das US-Start-up Rigetti Computing, das über einen Cloud-Dienst das Ausführen von Algorithmen auf einem 16-Qubit-Quantencomputer erlaubt, lockt zudem mit einem Preisgeld von einer Million US-Dollar. Dazu muss man jedoch beweisen, dass man auf der Plattform des Unternehmens ein Problem schneller lösen kann, als mit herkömmlichen Systemen.

Kurioserweise gelang dem 18-jährigen Texaner Ewin Tang vergangenen Juli das Gegenteil: Er entwickelte ein Empfehlungssystem, das beispielsweise bei Diensten wie Netflix zum Einsatz kommt, das auf herkömmlichen Systemen eine ähnlich gute Leistung wie Quantencomputer ablieferte. Bislang dachte man, dass Quantencomputer für solche Aufgaben deutlich schneller seien.

Im Wettrennen um die ersten kommerziellen Quantencomputer sorgen neben US-Konzernen wie IBM, Google und Microsoft, vor allem europäische Forscher für Schlagzeilen. Damit das langfristig so bleibt – insbesondere China investiert stark in die Quantencomputer-Forschung – hat die Europäische Kommission im Vorjahr die „Quantum Flagship“-Initiative gestartet, bei der in den kommenden zehn Jahren Forschungsprojekte mit einer Milliarde Euro gefördert werden sollen.

Auch Österreich ist von Anfang an dabei. In der ersten Runde werden fünf Projekte mit bis zu fünf Millionen Euro unterstützt. Auch der Bund investiert in die Entwicklung von Quantencomputer: Über die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) beteiligt sich der Bund mit zehn Millionen Euro an Alpine Quantum Technologies, ein von Forschern der Universität Innsbruck gegründetes Start-up. In Deutschland lässt die EU-Kommission zudem einen eigenen 100-Qubits-Quantencomputer bauen, der bis 2021 fertiggestellt werden soll.

Für Heimgebrauch sinnlos

Obwohl Quantencomputer gerne als die nächste Zukunft der Computer-Branche dargestellt werden, glaubt Lechner, dass diese auf derart spezifische Anwendungsgebiete beschränkt bleiben und vor allem Supercomputer ersetzen werden. Für den Heimanwender sind sie kaum relevant. „Ich kann mir vorstellen, dass er als Ko-Prozessor zum Einsatz kommt. Aber wozu sollte man für Word oder Excel einen Quantencomputer benötigen?“

Aufgrund ihrer komplexeren Funktionsweise werden sie wohl auch eine neue Generation an Programmierern erfordern. Derzeit setzt das Team von Lechner auf eine maschinenorientierte Programmiersprache, die mit Assembler vergleichbar sei. Eine branchenweit einheitliche, einfach verständliche Programmiersprache gibt es aber noch nicht. Eines steht aber auch für den Forscher fest: „Wir werden umdenken müssen.“

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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