Wie man Ionen richtig stört

Innsbrucker Forscher gingen der Frage nach, ob sich mit gefangenen Ionen eine Gittereichtheorie simulieren lässt.
Innsbrucker Forscher gingen der Frage nach, ob sich mit gefangenen Ionen eine Gittereichtheorie simulieren lässt.Uni Innsbruck/IQOQI
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Innsbrucker Wissenschaftler entwickeln ein Konzept für einen Quantensimulator. Dieser soll für komplexe Probleme der Teilchenphysik einsetzbar sein.

Naturwissenschaftler lieben Computer: Kaum eine wissenschaftliche Arbeit, die nicht Computersimulationen enthält. Doch so erfolgreich dieser Zugang auch ist, in der Welt der Physik gibt es fundamentale Grenzen, die eine Reihe von interessanten Problemen für Computer unzugänglich machen, vor allem, wenn Quantenmechanik eine Rolle spielt.

In den vergangenen Jahren zeichnet sich allerdings eine Möglichkeit ab, das Problem zu umgehen. Forscher am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck kämpfen hier an vorderster Front. Das Konzept heißt „Quantensimulator“ und Forschern um Marcello Dalmonte und Peter Zoller ist nun ein weiterer Schritt in Richtung Umsetzung gelungen.

Preisfrage: Was haben die Quantentheorie und moderne Verschlüsselungsverfahren gemeinsam? Antwort: Für beide steigt der Rechenaufwand rapide an, sobald mehrere Variablen im Spiel sind – etwa, wenn längere Schlüssel verwendet werden. Es gibt keine einfachen Tricks, keine Abkürzungen.

Rohe Gewalt. Die einzige Möglichkeit, solche Probleme mit Computern zu lösen, ist genügend Rechenleistung und Zeit, „Brute Force“, wie es in der Programmierersprache heißt – „rohe Gewalt“. Richard Feynman war es, der als Erster auf diesen erstaunlichen Umstand aufmerksam machte, übrigens im selben denkwürdigen Vortrag, in dem er auch die Entwicklung von Quantencomputern prophezeite.

Was bei Verschlüsselungstechnologien hohe Sicherheit bringt, ist für Physiker ein großes Hindernis. In der Elementarteilchenphysik führt das etwa dazu, dass Theorien wie die Quantenchromodynamik, jener Teil des Standardmodells der Teilchenphysik, der die starke Kernkraft beschreibt, bisher nur unzureichend verstanden werden. Die Situation ist paradox: Die Theorie ist wohlbekannt, nur ist es unerwartet schwierig, die Gleichungen zu lösen – wie das Knacken eines Codes.

Die Situation erscheint vertrackt, doch es gibt Hoffnung: nämlich die Quantenwelt mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem man gut erforschte Quantensysteme nutzt, um andere, schwerer zugängliche nachzubilden. „Das Konzept des Quantensimulators ist vergleichbar mit einem Windkanal, in dem die Aerodynamik von Flugzeugen oder Rennautos getestet wird“, sagt Marcello Dalmonte.

Kalte Ionen.
Die Experimentalphysikgruppen am IQOQI sind weltbekannt dafür, mit superkalten Ionen oder Gasen präzise arbeiten zu können. Eine Gruppe um Florian Schreck etwa hat vor drei Jahren im Labor Bedingungen erzeugt, wie sie nur in Neutronensternen vorkommen – „Die Presse“ berichtete. Nun haben Forscher von der Theoriegruppe am IQOQI, rund um Startheoretiker Peter Zoller, nach Möglichkeiten gesucht, wie sich sogenannte „Eichtheorien“, etwa zur Beschreibung der starken Kernkraft, mit kalten Ionen simulieren lassen.

„Alles begann 2011, als Teilchenphysiker aus Bern zu uns kamen“, erzählt Dalmonte. „Sie wussten, dass wir uns mit Quantensimulation beschäftigen und schlugen vor, etwas miteinander zu machen.“ Die Schweizer Physiker machten auf eine interessante Analogie aufmerksam, die zwischen kalten Ionen und Computermethoden in der Behandlung von Eichtheorien besteht: Theorien wie die Quantenchromodynamik simuliert man mangels besserer Ansätze oft auf einem „Gitter“. Man nimmt also an, der Raum bestehe nur aus einer Handvoll Punkte. Eine offenbar recht grobe Vereinfachung, doch für Computer machbar und mit passablen Ergebnissen.

So ein Raum-Zeit-Gitter ähnelt aber gefangenen Ionen in einer gitterförmigen Falle. Die Frage war: Lässt sich mit gefangenen Ionen eine Gittereichtheorie simulieren? „Das erste Problem war natürlich, dass wir alle hier keine ausgebildeten Teilchenphysiker sind“, sagt Dalmonte. „Man spezialisiert sich im Studium so früh, wir mussten erst die Grundlagen eines neuen Gebiets lernen. Doch nach einiger Zeit verstanden wir, dass es möglich ist.“

Superkalte Atome. Eine Schwierigkeit bestand darin, dass superkalte Atome verschiedenste Quanteneigenschaften zeigen, nicht nur die gewünschten. Die Forscher nutzen nun einen Trick, der „Zeno-Effekt“ heißt, nach dem griechischen Naturphilosophen. Quanteneffekte wie Unschärfe oder Verschränkung verschwinden, wenn das System gestört wird. Mit immer wiederkehrender, zufälliger Störung des Systems – Rauschen (auf Englisch „Noise“, „Lärm“) – lassen sich gezielt manche Quanteneffekte ausschalten. Dalmonte und seine Kollegen konnten zeigen, wie sich auf diese Art eine einfache Eichtheorie nachbilden lässt.

Bis zur experimentellen Umsetzung wird es noch dauern: Mindestens fünf Jahre, schätzt Dalmonte. Aber technisch ist es mit heutigen Mitteln möglich. Die Forschungen wurden unter anderem von der EU und vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

In Kürze

Computersimulation ist ein wichtiges Werkzeug der Naturwissenschaften. Forscher wollen damit die Eigenschaften von Systemen besser verstehen oder suchen am Modell Lösungen für bestimmte Probleme. Viele Probleme der Elementarteilchenphysik sind aber zu komplex, um sie mithilfe klassischer Simulation erforschen zu können.

Quantenphysik bietet neue Perspektiven, wo Computer an ihre Grenzen stoßen. Ein Team vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Universität Innsbruck arbeitet an einem Konzept für einen Quantensimulator. Erste Erfolge sind den Forschern nun gelungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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