Der selbstheilende Quantencomputer

Dem Bau von leistungsfähigen Quantencomputern steht bis heute die Fehleranfälligkeit der Quantenbits im Wege. Verfahren zur Fehlerkorrektur sorgen nun für frischen Wind.

Christian J. Meier
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Ein Chip mit neun supraleitenden Quantenbits. Durch einen paarweisen Vergleich zwischen den Bits ist es möglich, bestimmte Bit-Fehler zu erkennen und zu korrigieren. (Bild: Julian Kelly)

Ein Chip mit neun supraleitenden Quantenbits. Durch einen paarweisen Vergleich zwischen den Bits ist es möglich, bestimmte Bit-Fehler zu erkennen und zu korrigieren. (Bild: Julian Kelly)

Für John Martinis von der University of California in Santa Barbara ist ein Quantencomputer keine Laborspielerei mehr, mit der Physiker ihren virtuosen Umgang mit den Seltsamkeiten der Quantenphysik beweisen. Der Ernst der Technikentwicklung habe begonnen, sagte der Physiker schon letztes Jahr beim Internetkonzern Google, der ihn mittlerweile in diesem Bemühen fördert. Die grundlegenden Hürden, diese neue Art von Computer zu bauen, seien überwunden, sagt auch Tommaso Calarco, der Direktor des Zentrums für Integrierte Quantenwissenschaft und -technologie in Ulm und Stuttgart. Der Rest sei Ingenieursarbeit.

Das Problem der Skalierung

Ihren Optimismus beziehen die Experten auch aus jüngsten Fortschritten von Martinis' Gruppe und der Forschungsabteilung des IT-Unternehmens IBM. Beide Teams wollen Quantencomputer aus supraleitenden Schaltungen bauen. Diese lassen sich wie herkömmliche Computerchips mit maschinellen Standardverfahren produzieren und gelten daher als tauglich für eine baldige Massenherstellung. Chips aus wenigen supraleitenden Komponenten, primitive Quantencomputer also, haben die Physiker schon gebaut.

Doch das Rezept, nach dem Computerchips für PC oder Smartphones entstehen, sei beim Quantencomputer äusserst schwer umsetzbar, so Calarco. Die Leistungsfähigkeit herkömmlicher Chips beruht darauf, dass man einzelne Bauelemente auf mikroskopische Masse schrumpft und dann Milliarden von ihnen wie Legosteine zusammensteckt, so dass sich ihre Rechenkraft summiert. Beim Quantencomputer kämpfen Physiker noch mit dieser Skalierung.

Was ist das Problem? In der potenziellen Stärke von Quantencomputern liegt gleichzeitig ihre Schwäche. Sie verarbeiten Information simultan, die ein herkömmlicher Rechner nur in aufeinanderfolgenden Schritten abarbeiten kann. Künftige Quantenrechner könnten daher Verschlüsselungen im Handumdrehen knacken, gigantische Datenmengen blitzschnell durchforsten oder höchst komplexe Optimierungsaufgaben mit Leichtigkeit lösen.

Sie sollen diese Wunder mittels sogenannter Qubits erreichen, Speicherzellen, die simultan die beiden Werte 0 und 1 annehmen können. Vergleichen lässt sich das mit einer Münze: Liegt sie auf einem Tisch, dann zeigt sie entweder Kopf oder Zahl. Das entspräche dem digitalen Bit, das jeweils nur einen von zwei Werten speichert. Das Qubit hingegen wäre eine Münze, die in der Schwerelosigkeit schwebt. Sie könnte viel mehr Information als nur Kopf oder Zahl speichern, da sie verschiedenste Lagen im Raum einnehmen kann. Doch anders als bei der Münze auf dem Tisch würde schon ein Lufthauch ihre Lage verändern.

Entsprechend empfindlich reagieren Qubits auf Umwelteinflüsse, etwa auf Stösse mit Luftpartikeln. Beim Verarbeiten der Information kommt es auf feinste Drehungen der «Münze» an. Die winzigen Ungenauigkeiten von Lasern oder Mikrowellenleitern, mit denen die Rechenoperationen ausgeführt werden, bringen ebenfalls Fehler in den Quantencomputer.

Für komplexe Rechnungen brauchte man Quantencomputer mit Tausenden von Qubits, die alle gleichzeitig aktiv sind. Das bildet jede Menge Angriffsfläche für Störungen, die in Sekundenbruchteilen Rechenfehler verursachen würden. Daher gibt es bisher nur Quantencomputer mit höchstens 14 Qubits.

Die Skalierung zu mehr Qubits wollen Google, IBM und andere Forschergruppen nun erreichen, indem sie Qubits quasi Selbstheilungskräfte verleihen. In einem klassischen Computer lassen sich Fehler korrigieren, weil jedes Bit dreifach vorhanden ist. Wenn eines davon einen abweichenden Wert hat, wird es nach dem Mehrheitsprinzip automatisch an den Wert der anderen beiden Bits angepasst.

Dieses Prinzip lässt sich jedoch nicht eins zu eins auf Quantenrechner übertragen. Denn der gespeicherte Wert eines Qubits kann nicht ausgelesen werden, ohne die Rechnung zu stören. Doch Physiker haben einen Trick, durch den sich die Qubits gegenseitig kontrollieren. Sie bringen sie miteinander in eine innige Verbindung, im Fachjargon Verschränkung genannt. Für so eine verschränkte Gruppe lässt sich feststellen, ob alle Qubits noch den gleichen Wert besitzen oder nicht. Weil nur die Konformität der ganzen Gruppe getestet wird und nicht, welches Qubit abweicht, stört diese Messung den Rechenprozess nicht. Die Forscher schaffen nun ein Netzwerk aus solchen verschränkten Gruppen. An den Schnittpunkten dieses Netzwerks sitzen Qubits, die zum Rechnen benutzt werden. Wenn die Konformität zweier benachbarten Gruppen gestört ist, muss das fehlerhafte Qubit an deren Schnittpunkt sitzen. Es wird dann automatisch korrigiert. Für diese Selbstheilung braucht aber jedes rechnende Qubit mehrere Kontroll-Qubits.

John Martinis' Team fand heraus, dass der Erfolg der so umgesetzten Selbstheilung mit der Anzahl der Kontroll-Qubits steigt, bei einem System aus neun Qubits verzögerte sich das Auftreten irreparabler Fehler um fast das Neunfache. Die Gruppen von IBM und von Rainer Blatt von der Universität Innsbruck schafften es zudem, Korrekturverfahren für beide Fehlerarten der Qubits umzusetzen. Die «Münze» kann nämlich entlang zweier Achsen aus ihrer Lage gedreht werden: Sie kann zwischen Kopf und Zahl kippen (Bit-Flip-Fehler) oder sich auf ihrer Kante drehen (Phasen-Fehler).

Präzise Kontrolle der Qubits

Mit diesen sich selbst korrigierenden Grundbausteinen sei die Skalierung nun viel leichter zu erreichen als zuvor, sagt Thomas Monz von der Uni Innsbruck. Es gebe nur noch technische Hürden zu überwinden. Die technischen Herausforderungen seien allerdings um Grössenordnungen schwieriger als in der herkömmlichen Computertechnik, wendet Calarco ein. So müsse die maschinelle Herstellung von supraleitenden Qubits noch sehr viel präziser werden. Zudem müssten die Schaltkreise für die Steuerung der Qubits auf der Nanometerskala gefertigt werden. Sonst verursachten sie zu häufig Fehler, so Calarco. Und wenn Fehler zu schnell aufeinanderfolgen, hilft auch die Selbstheilung nicht mehr. Diese funktioniert nämlich nur, wenn die Fehlerhäufigkeit eine gewisse Schwelle unterschreitet. Monz hingegen meint, dass die Präzision der Steuerung bereits ausreicht, wenn man Ionen als Qubits verwendet.

Sein Chef Rainer Blatt rechnet schon in fünf Jahren mit einem Ionen-Quantencomputer mit 40 Qubits. Damit liessen sich Simulationen von Molekülen ausführen, an denen heutige Supercomputer scheitern. Ein ausreichend grosser Quantencomputer für das Brechen von Verschlüsselungen oder fürs Durchforsten von Daten wird aber länger auf sich warten lassen. Die Priorität liege vorerst nicht darin, Tausende Qubits zu erreichen, räumt Monz ein, sondern darin, den Rechner robust zu machen. Und er fügt hinzu: «Lieber einen Golf, der zehn Jahre fährt, als einen Bus, der nur alle zwei Tage fahren kann.»

Vom Autor ist im Heise-Verlag jüngst das Buch «Eine kurze Geschichte des Quantencomputers» erschienen.

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