Atome am absoluten Nullpunkt

Erholt sich von den Experimenten am liebsten gemeinsam mit ihren zwei Kindern beim Skifahren, Wandern oder auf dem Fußballplatz: Francesca Ferlaino.
Erholt sich von den Experimenten am liebsten gemeinsam mit ihren zwei Kindern beim Skifahren, Wandern oder auf dem Fußballplatz: Francesca Ferlaino.(c) Martin Vandory
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Die Quantenphysikerin Francesca Ferlaino beobachtet, wie sich Erbiumatome als ultrakaltes Gas verhalten. Die magnetischen Teilchen sind Neulinge der Quantenwelt.

Schon als Kind gefiel Francesca Ferlaino Physik. In Neapel aufgewachsen interessierten sie „Dinge, die ich nicht erklären oder verstehen konnte“. Als Teenager besichtigte Ferlaino auf einer Schulfahrt nach Frankreich ein Atomkraftwerk. „In diesem Alter war ich mir der Umweltfragen nicht bewusst. Die Möglichkeit, Energie zu gewinnen, faszinierte mich“, erzählt die 40-Jährige, die seit 2014 Wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck ist.

In der Schule wurde ihr Physikinteresse wenig gefördert, doch nach dem Abschluss setzte sie sich zufällig in eine Physikvorlesung: „Nach 1,5 Stunden war mir klar, dass ich absolut nichts verstanden hatte, aber dass alles, was der Professor gesagt hatte, so tief und wichtig klang. Diese fantastische Welt wollte ich verstehen.“ Nach dem Physikstudium in Neapel und Florenz kam sie an die Uni Innsbruck, um tief in die Quantenwelt einzutauchen. „Ich arbeite mit ultrakalten Atomen: Ultrakalt bedeutet wenige Nanokelvin vom absoluten Nullpunkt entfernt“, erklärt Ferlaino.

Die Ruhe ultrakalter Umgebung nutzen

Diese Tiefsttemperaturen sind notwendig, um das Hintergrundrauschen der Atombewegung zu minimieren. Denn Wärme bedeutet Bewegung, je kälter eine Umgebung ist, umso weniger bewegen sich Atome. „Die ultrakalte Umgebung ist quasi sehr leise und ohne störende Geräusche.“ So laufen Messungen präziser ab, die zeigen, wie sich Atome in der Quantenwelt verhalten.

Außerdem schließen sich Atome in ultrakalter Umgebung zu Kondensaten zusammen: „Dann verhalten sich eine Million Atome wie ein einziges Objekt: Das erleichtert die Messungen und eröffnet den Zugang zu neuen Mehrteilchenphänomenen“, erklärt Ferlaino. Ihr Team hat sich ein bisher wenig erforschtes Atom ausgesucht, das bei dieser Kälte untersucht wird: Erbium, ein Element der seltenen Erden. „Der Name ist irreführend, denn Erbium kommt nicht selten vor auf der Welt. Die größten Vorkommen sind momentan in China, aber auch in Schweden wurden welche entdeckt“, erklärt die Italienerin. Die Atome sind stark magnetisch und werden häufig in Elektronik verbaut. „Das Vibrieren des Smartphones basiert sehr oft auf Magneten, die Erbium und andere seltene Erden enthalten.“ Durch die hohe Nachfrage der Elektronikindustrie steigt der Preis für seltene Erden seit Jahren: „Doch wir brauchen für unsere Experimente nur wenige Milligramm.“

In den ultrakalten Versuchen zeigt Ferlaino, wie sich Erbiumatome nach den Gesetzen der Quantenmechanik verhalten. „Atome können als Informationsspeicher dienen: Wenn man ihren Zustand kontrolliert, können sie Information an andere Atome übertragen.“ Die Quantenforscher beeinflussen nicht nur den äußeren Zustand der Atome, also wie und wohin sie sich bewegen, sondern auch den inneren Zustand, der Spin genannt wird. „Wäre ein Atom eine Person, wäre der Spin seine Stimmung und der äußere Zustand sein Aufenthaltsort: Wir können von jedem Atom seine Stimmung und seine Bewegungen kontrollieren“, erklärt Ferlaino. Der Vorteil von Erbium ist, dass durch den starken Magnetismus die Atome über Distanz miteinander kommunizieren. „Wenn Sie einen Magneten an den Kühlschrank geben, spüren Sie seine Kraft, bevor der Kontakt zum Metall entsteht. Genauso interagieren Erbiumatome auf lange Distanz.“ Ihre Ergebnisse sind sowohl für die Grundlagenforschung wertvoll als auch für neue Entwicklungen wie Quantencomputer.

Vergangenes Jahr verbrachte Ferlaino mit ihrem Mann und den zwei Kindern über sechs Monate im Ausland: Sie legte ein Sabbatical ein, um Forschungsstätten auf der ganzen Welt zu besuchen. Einige Monate forschte sie in Harvard und in Colorado (USA) sowie in San Sebastian, Spanien. „Seither ist mir klar, wie viel Zeit wir in Österreich in Bürokratie, Administration und Lehre stecken: Vor allem in den USA können sich Wissenschaftler viel mehr auf ihre Forschung konzentrieren.“ Auf die Frage nach ihrem Hobby, um den Kopf freizubekommen, antwortet Ferlaino sofort: „Meine Kinder. Wir gehen viel wandern und Ski fahren, oder ich stehe am Fußballplatz.“

ZUR PERSON

Francesca Ferlaino wurde 1977 in Neapel geboren, wo sie Physik studierte. Ihre Dissertation absolvierte sie in Florenz. 2007 kam sie an die Uni Innsbruck, wo sie bis heute am Institut für Experimentalphysik forscht. Die zweifache Mutter ist Professorin an der Uni Innsbruck und Forschungsdirektorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW. Sie erhielt im November den italienischen Antonio-Feltrinelli-Nachwuchspreis (50.000 Euro).

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2018)

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