Europa bläst beim Bau eines Quantencomputers zur Aufholjagd – doch etwas Entscheidendes fehlt noch

Mit zwei ambitionierten Projekten will Europa beim Bau eines Quantencomputers der Konkurrenz aus den USA und China Paroli bieten. Wie der alte Kontinent mit der neuen Technologie Geld verdienen will, bleibt jedoch offen.

Christian J. Meier
Drucken
Das Rechnen mit supraleitenden Quantenbits erfordert extrem tiefe Temperaturen. Das Bild zeigt die Kühlapparatur, in die der Quantenchip eingesetzt wird.(Bild: ETH Zürich / Gerry Amstutz)

Das Rechnen mit supraleitenden Quantenbits erfordert extrem tiefe Temperaturen. Das Bild zeigt die Kühlapparatur, in die der Quantenchip eingesetzt wird.
(Bild: ETH Zürich / Gerry Amstutz)

Im Wettlauf um den Quantencomputer geben die USA und China das Tempo vor. Dort pumpen Regierungen und Unternehmen wie Google oder Alibaba, das chinesische Pendant zum Onlinehändler Amazon, Milliardenbeträge in die Entwicklung der «Wundermaschine». Diese soll dank den Gesetzen der Quantenphysik bestimmte Aufgaben sehr viel schneller lösen als jeder Supercomputer. Wem es gelingt, winkt enormer Profit.

Zögerliche Industrie

Vor Jahren schon habe man in den USA von der akademischen Forschung am Quantenrechner auf dessen ingenieurmässige Entwicklung umgeschaltet, sagt Frank Wilhelm-Mauch von der Universität des Saarlandes. Der Physiker leitet eines von zwei EU-Projekten, mit denen Europa nachziehen will. Indem man eine Brücke zwischen der Forschung und der Industrie schlägt, möchte der alte Kontinent seine führende Position in der Forschung – einer der weltweit am weitesten entwickelten Quantenrechner steht in Innsbruck – in kommerzielle Produkte ummünzen. Die beiden Projekte zum Bau eines Quantencomputers werden im Rahmen des Quanten-Flaggschiffprogramms der EU mit je zehn Millionen Euro gefördert. Damit die Kommerzialisierung gelingen kann, ist die Einbindung der Industrie essenziell. Bis anhin zeigen europäische Technologieunternehmen jedoch keine Ambitionen, tatsächlich einen Quantenrechner zu bauen.

Beim Bau eines Quantenrechners dreht sich alles um das «Qubit». Es kann die beiden Bit-Werte 0 und 1 nicht nur nacheinander speichern wie ein klassisches Bit, sondern simultan. Realisiert wird das Qubit beispielsweise durch Ionen (geladene Atome), die zwei Energiezustände gleichzeitig einnehmen, oder supraleitende Schleifen, in denen Strom gleichzeitig links und rechts herum fliesst.

Weil jedes zusätzliche Qubit die Zahl der speicherbaren Werte verdoppelt, könnte schon ein Quantencomputer mit etwa 50 Qubits bestimmte Aufgaben lösen, die heutige Supercomputer überfordern, etwa das Simulieren eines Moleküls aus 50 Atomen. Dies wäre jedoch erst der Anfang. Um klassische Rechner auch auf Gebieten wie der Mustererkennung, dem maschinellen Lernen oder der Optimierung von Verkehrsströmen zu schlagen, brauchte es Quantenrechner mit Tausenden von Qubits. Bis dahin werden noch mindestens zehn Jahre vergehen, schätzen Physiker.

Binnen drei Jahren wollen die europäischen Projekte immerhin die Marke von 50 bis 100 Qubits erreichen: Das Projekt Aqtion (Advanced Quantum Computing with trapped Ions) an der Universität Innsbruck setzt auf gespeicherte Ionen, das Projekt Opensuperq (An Open Superconducting Quantum Computer) am Forschungszentrum Jülich auf supraleitende Quantenbits. Eine Kopie des Jülicher Rechners solle in Zürich gebaut werden, sagt der am Vorhaben beteiligte Quantenforscher Andreas Wallraff von der ETH Zürich.

Ein supraleitender Quantenchip des Quantum Device Lab der ETH Zürich (Bild: ETH Zürich / Quantum Device Lab)

Ein supraleitender Quantenchip des Quantum Device Lab der ETH Zürich (Bild: ETH Zürich / Quantum Device Lab)

In Opensuperq sieht der Physiker eine neue Herangehensweise. Diese erfordere nicht nur das Lösen offener Forschungsfragen, etwa wie sich Tausende von Qubits steuern liessen, ohne Fehler zu verursachen, sondern auch das Know-how von Ingenieuren. «Wir haben die Komponenten, nun müssen wir sie zusammenbauen», sagt Wallraff. Ein einzelnes Labor könne dies nicht leisten. Das sei ähnlich wie beim Bau von Detektoren am Kernforschungszentrum Cern. Hier tragen mehr als 100 Institute Komponenten bei, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Dass es für den Bau eines Quantencomputers eine grosse gemeinschaftliche Anstrengung braucht, sieht auch Wallraffs ETH-Kollege Jonathan Home so, der am Aqtion-Projekt beteiligt ist. Für ihn sei vor allem die andere Arbeitsweise eine neue soziale Erfahrung.

Die vordringlichste Aufgabe sieht Wallraff darin, eine Infrastruktur aufzubauen, auf der ein leistungsstarker Quantencomputer überhaupt gebaut werden kann. «Die knappste Ressource sind Experten», sagt Wallraff. Er regt daher an, gezielt Quanten-Ingenieure auszubilden. Wallraff lobt das Engagement der EU, bezweifelt aber, dass die Geldmittel reichen werden, um an den USA vorbeizuziehen. Über kurz oder lang brauche es das Investment einer grösseren Firma.

Viele Kandidaten gibt es dafür in Europa nicht. Experten nennen oft Siemens oder den französischen IT-Konzern Atos. In der Szene wird aber auch die mangelnde Risikobereitschaft europäischer Unternehmen kritisiert, in eine Entwicklung zu investieren, die keine kurzfristigen Erlöse verspricht. Auch bei den beiden Quantencomputer-Projekten halten sich Firmen finanziell zurück. Das Budget stammt zur Gänze aus dem EU-Flaggschiffprogramm. Die kleinen Firmen, die an den beiden Projekten beteiligt sind, steuern zwar Steuerelektronik, Lasertechnik oder Kühlapparate bei. Als Hersteller von Quantencomputern sind sie aber kaum geeignet. Einzig das Startup Alpine Quantum Technologies, eine Ausgründung der Universität Innsbruck, hat sich das Ziel gesetzt, einen kommerziellen Quantencomputer zu bauen. Dafür hat es zehn Millionen Euro vom österreichischen Staat bekommen.

Was Quantencomputer können

Somit müssen die beiden EU-Projekte die Industrie erst einmal vom kommerziellen Nutzen eines Quantenrechners überzeugen. «Wir streben Firmenkontakte an», sagt Wallraff. Dabei soll ein «user board» helfen, in dem Firmen wie Siemens, Carl Zeiss, Volvo oder Ericsson vertreten sind. «Die Firmen werden ein Gefühl dafür bekommen, was mit einem Quantencomputer machbar ist», verspricht Home. Auch bei Aqtion gebe es Firmenkontakte, die Anwendungen einen Quantencomputers ausloten wollen, wie Thomas Monz von der Uni Innsbruck bestätigt.

Immerhin könnte ein europäischer Quantenrechner die heimische Softwareindustrie befeuern. Denn der Wunderrechner benötigt spezielle Algorithmen. Der Softwarehersteller Atos investiert in dieses Feld, indem es Quanten-Algorithmen auf einem eigenen Supercomputer testet. Der Jülicher Quantencomputer soll über die Cloud zugänglich sein und somit Unternehmen ermöglichen, ihre Software zu testen. Bisher bieten nur US-Firmen und Alibaba solche Dienste an.

Mit dem neuen Quanten-Flaggschiff ist Europa also nun im Rennen um die Kommerzialisierung eines künftigen Quantenrechners. Für einen Spitzenplatz dürfte das Förderinstrument aber wohl nicht reichen.

Folgen Sie der Wissenschaftsredaktion der NZZ auf Twitter.