Lange Liste der Rekorde

(c) Die Presse - Clemens Fabry
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In Innsbruck und Wien arbeiten Forscher daran, Quantenphänomene besser zu verstehen. Sie werden als Kandidaten für den Nobelpreis gehandelt.

Europameister? Quantenphysiker Rudolf Grimm ist vorsichtig, was den Vergleich von Fußball und Physik angeht. Um dann zuzugeben: „In manchen Dingen sind wir vielleicht eher Weltmeister.“ Die Liste der Rekorde der Quantenphysik-Gruppen am Standort Innsbruck kann sich tatsächlich sehen lassen: weltweit erstes Bose-Einstein-Kondensat (BEC) mit Caesiumatomen, erstes BEC mit Strontiumatomen, erstes BEC mit Erbiumatomen. Und das ist nur Grimms eigener Arbeitsbereich, das Gebiet der ultrakalten Gase. Extrem kalt, um genau zu sein: Dieser vom Inder Satyendranath Bose und Albert Einstein erstmals vorhergesagte exotische Materiezustand existiert nur bei Temperaturen von wenigen Nanograd über dem absoluten Nullpunkt.

Leistungen ganzer Gruppen

Fragt man den Wittgensteinpreisträger Grimm aber nach den größten Errungenschaften der Quantenphysik-Gruppen in Innsbruck, so hört man wenig über derartige Einzelleistungen. Stattdessen spricht er von Errungenschaften bei der Konzeption von Quantencomputern in der Gruppe von Peter Zoller, der immer wieder als Nobelpreiskandidat gehandelt wird. Oder weist auf Erfolge bei der experimentellen Umsetzung bestimmter Quantenalgorithmen in Rainer Blatts Gruppe hin – kleine, aber funktionstüchtige Quantencomputer. Und erwähnt Erkenntnisse bezüglich sehr kalter Gase, zu denen die BEC gehören.

Dieser Bereich ist das Forschungsgebiet von Francesca Ferlaino, die aus Neapel stammt und mit dem österreichischen „Start“-Preis sowie zwei ERC-Starting-Grants des europäischen Forschungsrats ausgezeichnet wurde. Sie ist eine der führenden Quantenphysikerinnen weltweit und war in den vergangenen Jahren heiß umworben. In Deutschland wurde ihr, nachdem sie in Innsbruck das erste BEC mit dem seltenen Element Erbium realisiert hatte, eine mit fünf Millionen Euro dotierte Humboldt-Professur angeboten. „Sie zu halten, war eine sehr große Anstrengung“, sagt Grimm. „Es gelang uns, ein Paket zu schnüren, das für sie als Forscherin attraktiv war.“ Dafür wurden Mittel der Uni Innsbruck und der Akademie der Wissenschaften zusammengelegt. „Ausschlaggebend war aber auch das sehr gute Umfeld.“

Grimm meint damit, dass in Innsbruck Theoretiker und Experimentatoren sehr eng zusammenarbeiten. Das liegt nicht zuletzt am Theoretiker Peter Zoller – gemeinsam mit Anton Zeilinger einer der Gründerväter des Innsbrucker Quantenphysik-Zentrums. Zollers erste bahnbrechende Arbeit zu Quantencomputern stammt aus dem Jahr 1995, ein Quantencomputer-Konzept, das auf einzelnen geladenen Teilchen (Ionen) basiert und das später von Rainer Blatt realisiert werden konnte. Doch Zoller hat nicht vor, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Er hat laufend neue Ideen und erst dieses Jahr gemeinsam mit Ferlaino eine Arbeit im renommierten Magazin „Science“ publiziert.

Hier ging es um eine Weiterentwicklung von Ferlainos Arbeit an Erbiumatomen. Dieses sehr seltene Element hat ungewöhnlich starke magnetische Eigenschaften, was es für die Experimentatoren besonders interessant macht. Sie können so Wechselwirkungen über vergleichsweise große Distanzen untersuchen. „Zoller ist immer ein paar Jahre voraus“, sagt Grimm. „Er hat ein einzigartiges Gespür für Dinge, die auch wirklich realisierbar sind.“

Neutronensterne nachbilden

Zoller interessierte sich in den vergangenen Jahren besonders für das Konzept der Quantensimulation. Dabei geht es um die Idee, Quantensysteme, die für Computersimulationen zu komplex sind, etwa das Innere eines Neutronensterns, mittels einfacherer Systeme nachzubilden. Ein BEC aus Erbiumatomen ist so ein vergleichsweise einfaches System.

Die Gruppen in Wien und Innsbruck bilden gemeinsam das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IQOQI). Man arbeitet komplementär, aber unabhängig und achtet sehr darauf, nicht doppelgleisig zu fahren. Verständlich, denn nur so können beide Standorte Europameister sein – oder Nobelpreisträger. Zeilinger wird schließlich auch immer wieder als möglicher Kandidat genannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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