Physiker um Francesca Ferlaino haben in einem Experiment beobachtet, wie anisotrope Eigenschaften von Teilchen die Fermi-Fläche eines Quantengases deformieren. Die nun in Science veröffentlichte Arbeit legt den Grundstein für neue Untersuchungen darüber, wie die Geometrie der Wechselwirkung von Teilchen die Quanteneigenschaften von Materialien beeinflussen kann.
Das Verhalten eines Materials wird von dessen energetischer Struktur bestimmt. Ein wichtiges Konzept der Festkörperphysik zur Beschreibung der Energiezustände zum Beispiel der Elektronen eines Metalls stellt die nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi benannte Fermi-Fläche dar. Elektronen sind wie Quarks oder Neutrinos Fermionen und gehorchen dem Paulischen Ausschlussprinzip, wonach zwei Fermionen nicht gleichzeitig am gleichen Ort einen identischen Quantenzustand besetzen können. Für Elektronen und andere fermionische Teilchen mit isotropen – also richtungsunabhängigen – Wechselwirkungen ergibt sich eine Fermi-Fläche in der Form einer Kugel. „Das ist in der Natur der Normalfall und bildet die Basis vieler physikalischer Phänomene“, sagt Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck. „Ist die Wechselwirkung der Teilchen anisotrop – also von der Richtung des Zusammentreffens abhängig –, so verändert dies das physikalische Verhalten eines Systems vollständig. Die anisotrope Wechselwirkung deformiert die Fermi-Fläche zu einem Ellipsoid.“ Genau eine solche Deformation konnte die von Ferlaino geleitete experimentelle Arbeitsgruppe nun zum ersten Mal beobachten.
Simulation in ultrakaltem Quantengas
Die Quantenphysiker haben dazu ein Gas aus fermionischen Erbiumatomen in einer Falle aus Laserlicht gefangen und bis nahe an den absoluten Nullpunkt abgekühlt. Das Element Erbium besitzt einen stark magnetischen Charakter, der zu einem extrem dipolaren Verhalten führt. Die Wechselwirkung zwischen diesen Atomen ist daher richtungsabhängig. Wenn die Innsbrucker Physiker das ultrakalte Gas nach dem Abkühlen der Teilchen aus der Falle entlassen, können sie anschließend aus der Impulsverteilung der Teilchen auf die Form der Fermi-Fläche schließen. „Erbiumatome verhalten sich ähnlich wie Magnete, ihre Wechselwirkung ist stark von der Richtung, in der die Teilchen aufeinander treffen, abhängig. Unser Experiment zeigt, dass die Form der Fermi-Fläche von der Geometrie der Wechselwirkung abhängt und nicht mehr kugelförmig ist“, erklärt der Erstautor der Studie, Kiyotaka Aikawa, das nur äußert schwierig zu beobachtende Phänomen. Ursache für die Deformation der Fermi-Fläche ist das Zusammenspiel der magnetischen Wechselwirkung und der Tatsache, dass Fermionen auf unterschiedliche Energieniveaus verteilt sein müssen.
Grundlegende Fragestellung
„Es geht hier um die sehr generelle Frage, wie die Geometrie der Wechselwirkung von Teilchen die Quanteneigenschaften eines Materials beeinflusst“, erklärt Francesca Ferlaino. An der Beantwortung dieser Frage sind heute Physiker vieler unterschiedlicher Fachgebiete interessiert, so zum Beispiel der Hochtemperatursupraleitung. Ultrakalte Quantengase können hier einmal mehr als Testfeld für die Simulation komplexer Szenarien dienen. „Für die Entwicklung neuer Quantenmaterialien ist ein besseres Verständnis dieser Eigenschaften notwendig“, betont Francesca Ferlaino. „Nur wenn wir verstehen, wie die Wechselwirkung der Teilchen das Material beeinflusst, können wir Aussagen über mögliche Eigenschaften neuer Materialien machen.“
Diese Arbeit wurde vom Österreichischen Wissenschaftsministerium, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der EU finanziell unterstützt. Seit Juli ist ERC- und START-Preisträgerin Francesca Ferlaino auch wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.