Innsbrucker Experimentalphysiker haben gemeinsam mit Theoretikern aus Innsbruck und Hannover erstmals sogenannte Rotonen in einem Quantengas nachgewiesen. Diese Quasiteilchen wurden für die Beschreibung der seltsamen Eigenschaften von supraflüssigem Helium eingeführt. Die im Fachmagazin Nature Physics veröffentlichte Arbeit beschreibt ähnliche Phänomene in einem Quantengas und ebnet den Weg zu einem besseren Verständnis paradigmatischer Zustände von Quantenflüssigkeiten wie Suprafestkörpern.
Suprafluidität wurde vor über 80 Jahren in flüssigem Helium entdeckt und ist ein nicht leicht verständliches Phänomen, in dem sich Quantenphysik und Teilchenwelle-Dualismus auf makroskopischer Ebene zeigen. Seit damals hat es wesentliche Fortschritte im Verständnis von Quantenmaterie gegeben, obwohl manche Phänomene immer noch rätselhaft bleiben. Ein Kennzeichen von Suprafluidität ist die Existenz von Quasiteilchen, das sind elementare Anregungen geprägt von Wechselwirkungen. Das Verhalten von solchen besonderen Flüssigkeiten bei tiefen Temperaturen wird hauptsächlich von zwei Arten von Anregungen bestimmt. Die ersten sind Phononen, die bekannten langwelligen Quanten der Schallwellen. Die zweiten, sehr viel seltsamer und faszinierender, sind massive Quasiteilchen, sogenannte Rotonen. Sie haben einen hohen Impuls und im Gegensatz zu gewöhnlichen (Quasi)-Teilchen, für die die Energie mit dem Impuls ansteigt, zeigt die Dispersionsrelation der Rotonen ein Minimum bei einem endlichen Impuls. Dieses ungewöhnliche Verhalten bringt die Tendenz der Flüssigkeit zum Ausdruck, kurzwellige räumliche Dichtemodulationen aufzubauen, Vorboten einer Kristalllabilität. Dieses Verhalten entspringt einem erstaunlichen Übersprechen zwischen den Teilchen, das der extrem hohen Dichte der Flüssigkeit geschuldet ist.
Ultrakalte Gase und ganz besonders Bose-Einstein-Kondensate stellen ein anderes Beispiel für Suprafluidität dar, bei denen sich aufgrund der viel geringeren Dichte aber zunächst keine Rotonen zeigen. Im Jahr 2003 schlugen Theoretiker vor, Rotonen in einem Kondensat aus stark magnetischen Atomen zu erzeugen. Die langreichweitige und richtungsabhängige Wechselwirkung zwischen den Teilchen sollte es ihrer Meinung nach möglich machen, den makroskopischen Anregungszustand zu erzeugen. Dank theoretischer Beiträge der Arbeitsgruppe von Luis Santos an der Universität Hannover und von Rick van Bijnen vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften konnte das Team um Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation nun erstmals Roton-Anregungen in einem dipolaren Quantengas beobachten.
Rotonen in Quantengas beobachtet
Als weltweit erste Forschungsgruppe haben die Innsbrucker Wissenschaftler 2012 ein Bose-Einstein-Kondensat aus Erbium-Atomen realisiert. Der stark magnetische Charakter dieser Atome führt zu einem extrem dipolaren Verhalten des Quantensystems. Mit diesem Modellsystem konnten sie bereits mehrere dipolare Wenig- und Vielteilcheneffekte nachweisen. Nun ist es der Gruppe gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat aus rund 100.000 Erbium-Atomen so zu präparieren, dass Rotonen beobachtet werden können. „Wir verwenden dazu eine zigarrenförmige Falle aus Laserlicht und orientieren die atomaren Dipole mit einem Magnetfeld quer dazu“, erklärt die Erstautorin Lauriane Chomaz. Wenn die Atome entlang der kurzen Seite der Zigarre sitzen, ziehen sich die Teilchen an und sie stoßen sich ab, wenn sie in Längsrichtung sitzen. „Die langreichweitige Wechselwirkung führt zu einem Übersprechen zwischen den beiden Richtungen der Falle und dem attraktiv/repulsiven Charakter der Wechselwirkung.“ Energetisch begünstigt dies eine Modulation der atomaren Wolke entlang der Längsachse mit einer Wellenlänge, die dem Durchmesser der Zigarre entspricht. Das macht eine Roton-Anregung aus. „Indem wir zusätzlich die Wechselwirkung abschwächen, können wir den Roton-Modus entsprechend besetzen", sagt Chomaz.
Suprafestkörper im Visier
Der erfolgreiche Nachweis dieses seit langem gesuchten Quasiteilchens ebnet den Weg für die weitere Erforschung der Suprafluidität. Darüber hinaus schafft es auch Möglichkeiten, einen paradoxen Materiezustand zu erkunden, der gleichzeitig sowohl Eigenschaften fester als auch suprafluider Körper zeigt. Erste Nachweise dafür hat es im vergangenen Jahr bereits in Experimenten an Hybrid-Systemen aus Atomen und Licht gegeben. Magnetische Atome können eine neue Perspektive bieten, um suprasolide Zustände direkt zu erkunden, sind die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher überzeugt. Schließlich bestätigt dieser Durchbruch die Möglichkeiten, dipolare Gase für die Erforschung von Quantenflüssigkeiten bieten, wie auch die Entdeckung von dipolaren Quantentröpfchen durch die Gruppe von Tilman Pfau in Stuttgart kürzlich gezeigt hat.
Die Arbeit der Innsbrucker Wissenschaftler wurde unter anderem durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und die Europäische Union finanziell unterstützt.