Quantenverschränkung ist eine zentrale Grundlage für die neuen Quantentechnologien des 21. Jahrhunderts. Nun präsentiert ein deutsch-österreichisches Forschungsteam das bisher größte, verschränkte Quantenregister individuell kontrollierbarer Systeme aus insgesamt 20 Quantenbits. Die Physiker in Innsbruck, Wien und Ulm treiben dabei die experimentellen und theoretischen Methoden an die Grenzen des derzeit Möglichen.
Das Potential der neuen Quantentechnologien reicht von extrem präzisen Sensoren bis zum universellen Quantenrechner. Quanteninformationsverarbeitung benötigt eine große Anzahl von Quantenbits, um die Vorteile der Quantenphysik gegenüber klassischen Computern ausspielen zu können. Physiker in aller Welt arbeiten daher daran, verschränkte Systeme mit immer mehr Quantenbits zu realisieren. Den Rekord hält derzeit die Forschungsgruppe um Rainer Blatt am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck. Die Physiker verschränkten 2011 erstmals 14 individuell manipulierbare Quantenbits miteinander und realisierten so das größte vollständig verschränkte Quantenregister. Nun hat ein Team um Ben Lanyon und Rainer Blatt am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit Theoretikern der Universität Ulm und des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation in Wien kontrollierte Vielteilchenverschränkung in einem System aus 20 Quantenbits realisiert. Dabei konnten die Forscher echte Vielteilchenverschränkung zwischen allen benachbarten Gruppen von drei, vier und fünf Quantenbits nachweisen.
Echte Vielteilchenverschränkung
Verschränkte Teilchen können physikalisch nicht als einzelne Teilchen mit definierten Zuständen beschrieben werden, sondern nur als Gesamtsystem. Besonders schwierig wird es, Verschränkung zu verstehen, wenn zahlreiche Teilchen im Spiel sind. Hier muss zwischen der Verschränkung einzelner Teilchen und echter, genuiner Vielteilchenverschränkung unterschieden werden. Genuine Vielteilchenverschränkung kann nur als Eigenschaft des Gesamtsystems aller betreffenden Teilchen verstanden werden und nicht als Summe von Verschränkungen einzelner Quantenbits.
Die Physiker am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck haben nun in einem Ionenfallen-Experiment 20 Kalziumatome mit Hilfe von Laserlicht verschränkt und dabei beobachtet, wie sich die Vielteilchenverschränkung in diesem System dynamisch ausbreitet. „Die Teilchen werden zunächst paarweise verschränkt“, schildert Lanyon. „Mit den von unseren Kollegen in Wien und Ulm entwickelten Methoden können wir dann die weitere Ausbreitung der Verschränkung auf alle benachbarten Teilchendrillinge, die meisten Vierlinge und einige Fünflinge nachweisen.“
Neue Methoden entwickelt
Diese Nachweismethoden wurden von der Arbeitsgruppe um Martin Plenio an der Universität Ulm und dem Team um Marcus Huber am IQOQI Wien entwickelt. „Wir haben dazu einen MacGyver-Ansatz gewählt“, sagt Erstautor Nicolai Friis schmunzelnd. „Wir mussten einen Weg finden, mit einer kleinen Anzahl von durchführbaren Messeinstellungen Vielteilchenverschränkung nachzuweisen.“ Die Forscher in Wien und Ulm beschritten sich ergänzende Wege: Die Gruppe um Huber und Friis nutzte eine Methode, die nur wenige Messungen erfordert und deren Ergebnisse sich leicht auswerten lassen. Damit konnte im Experiment die Verschränkung von jeweils drei Teilchen nachgewiesen werden. Die Ulmer Theoretiker verwendeten eine komplexere Technik, die auf numerischen Methoden beruht. „Diese Technik ist zwar effizient, stößt aber aufgrund des mit der Zahl der Quantenbits stark steigenden Rechenaufwands auch an ihre Grenzen“, sagt Oliver Marty aus der Forschungsgruppe von Martin Plenio. „Deshalb war auch mit dieser Methode beim Nachweis von echter Fünfteilchenverschränkung Schluss.“
Großer Schritt in Richtung Anwendung
„Es gibt Quantensysteme wie ultrakalte Gase, in denen Verschränkung zwischen einer großen Zahl von Teilchen nachgewiesen wurde“, betont Nicolai Friis. „Das Innsbrucker Experiment ist aber in der Lage, jedes einzelne Quantenbit individuell anzusprechen und auszulesen.“ Es eignet sich für konkrete Anwendungen wie Quantensimulationen oder Quanteninformationsverarbeitung. Dafür will das Team um Rainer Blatt die Zahl der Quantenbits im Experiment weiter steigern. „Unser mittelfristiges Ziel liegt bei 50 Teilchen“, sagt er. „Damit könnten wir Aufgaben lösen, an denen die besten Supercomputer heute noch scheitern.“
Die für das Ionenfallenexperiment in Innsbruck entwickelten Methoden zum Nachweis der Quantenverschränkung werden breitere Anwendung finden, sind die Physiker in Ulm und Wien überzeugt. „Wir wollen die Grenzen unserer Methoden noch weiter ausloten“, sagen Friis und Marty. „Durch das Ausnutzen von Symmetrien und den Fokus auf bestimmte Observablen können wir diese Methoden weiter optimieren, um noch umfangreichere Vielteilchenverschränkung nachweisen zu können.“
Veröffentlicht wurde die Arbeit in der Fachzeitschrift Physical Review X. Die Forschungen wurden unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union finanziell unterstützt.