33b2260650d881180c21b62b4de5f3d2_reality.jpg
Bild: IQOQI Vienna

[2007-04-18] Unser Alltagsverstand sagt uns, dass ein Objekt „reale“ Eigenschaften besitzt, wie Farbe, Form, Ort und Geschwindigkeit, unabhängig davon ob wir diese beobachten oder nicht. In der Quantenphysik gelten diese Alltagsregeln nicht notwendigerweise. Wiener Quantenphysiker zeigen in einem neuen Experiment, dass unser Konzept von Realität stärker als bisher in Frage gestellt werden könnte.

Die klassische Physik (inkl. der Einsteinschen Relativitätstheorien) ist eng an die Konzepte „Realismus“ und „Lokalität“ geknüpft. Unter „Realismus“ verstehen wir die Annahme, dass es eine externe Realität unabhängig von der Beobachtung gibt und unter „Lokalität“ die Annahme, dass sich genügend weit entfernte Objekte nicht beeinflussen können. Beides ist in unserer Alltagswelt gut bestätigt. Quantenexperimente an entfernten aber verschränkten Teilchen stehen jedoch im Widerspruch zu diesen beiden Konzepten. Das ist die Schlussfolgerung aus den sogennanten Bell-Experimenten - benannt nach dem Physiker John S. Bell, der 1964 theoretisch zeigte, dass jede physikalische Theorie, die beide Konzepte verwendet, Lokalität oder Realismus, im Widerspruch steht zu den Vorhersagen der Quantentheorie. Eine Beschreibung der Natur, die die beobachteten Quantenphänomene mit einschliesst, muss also auf mindestens eine dieser (für die klassische Physik unumstößlichen) Annahmen verzichten. Nur auf welche? Diese Frage konnte bislang nicht beantwortet werden.

Das Experiment des Wiener Teams wirft ein neues Licht auf diese Frage und beantwortet sie zumindest teilweise: es genügt nicht, das Konzept der Lokalität aufzugeben. Um nicht im Widerspruch mit der Quantentheorie zu sein, muss man sich auch von einigen intuitiven Aspekten des Realismus verabschieden. Die Idee dazu stammte aus einer theoretischen Arbeit von Sir Anthony J. Leggett. Er erkannte, dass gewisse „realistische“ Eigenschaften, wie etwa der Spin eines Elektrons oder die Polarisation eines Photons, nicht gleichzeitig immer exakt definiert und über eine „geisterhafte Fernwirkung“ (Einstein) mit einem Partnerteilchen nach den Regeln der Quantenphysik verbunden sein können. Konkret: Die gemeinsame Annahme von Nichtlokalität und von einer anschaulichen Form des Realismus, nämlich dass Teilchen gewisse Eigenschaften besitzen unabhängig von Messungen, ist im Widerspruch zu bestimmten Vorhersagen der Quantentheorie. Die Wiener Quantenphysiker um Markus Aspelmeyer und Anton Zeilinger formulierten das Theorem von Leggett so um, dass es experimentell getestet werden konnte. Im Experiment verwendeten sie eine Photonenpaar-Quelle, deren Paare in der Polarisation der Lichtteilchen verschränkt sind, d.h. die gemessene Polarisation an einem der Teilchen ist immer mit dem Messergebnis am Partnerteilchen korreliert. Laut Leggett sollten ganz bestimmte Messergebnisse (d.h. Ergebnisse von Polarisationsmessungen entlang ganz bestimmter Richtungen) selbst für nicht-lokale realistische Eigenschaften (hier: Polarisation) nicht mehr nachvollziehbar sein.

Die Ergebnisse der Wiener Forscher geben der Quantenphysik Recht und zeigen, dass die gemachten Annahmen nicht haltbar sind. Es genügt demnach für ein Verständnis der Quantentheorie nicht, auf das Prinzip der Lokalität zu verzichten. Will man das dennoch tun, müssen zwangsläufig gewisse anschauliche Eigenschaften der Wirklichkeit aufgegeben werden. Die Wiener Physiker räumen damit ein lange gehegtes Vorurteil aus dem Weg: „Geisterhafte Fernwirkung“ allein reicht nicht aus, um die seltsamen Paradoxien der Quantenphysik zu verstehen. In Zukunft sollte man dazusagen, wie man sich die Realität vorstellt…