quantensimulator_web.jpg
Grafik Harald Ritsch

[2011-02-23] Experimentalphysiker stecken viel Zeit und Mühe in die Abschirmung sensibler Messungen gegen störende Einflüsse der Umwelt. Nun haben Quantenphysiker in Innsbruck erstmals die Grundbausteine eines offenen Quantensimulators realisiert, bei dem die kontrollierte Anbindung an die Umgebung nutzbringend eingesetzt wird. Damit kann in Zukunft das Verhalten sehr komplexer Quantensysteme untersucht werden. Die Forscher berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature.

Die Eigenschaften der Quantenphysik liegen vielen Phänomenen unserer Welt zugrunde: der Struktur von Atomen und Molekülen, chemischen Reaktionen, Materialeigenschaften, dem Magnetismus und möglicherweise auch manchen biologischen Prozessen. Detailliertes Verständnis stößt allerdings rasch an Grenzen, weil die Komplexität der Phänomene mit der wachsenden Zahl der beteiligten Quantenteilchen rapide ansteigt. Herkömmliche Computer scheitern sehr rasch an der Berechnung solcher Probleme. Physiker entwickeln deshalb seit einigen Jahren auf verschiedenen Plattformen wie zum Beispiel Neutralatomen, Ionen oder Festkörpersystemen Quantensimulatoren, die ähnlich wie Quantencomputer die besonderen Eigenschaften der Quantenphysik zur Beherrschung dieser Komplexität nutzen. Zum Jahreswechsel hat die Fachzeitschrift Science die Fortschritte auf diesem Gebiet zu einem der wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres 2010 gekürt. Ein Team von Nachwuchsforschern aus den Arbeitsgruppen von Rainer Blatt und Peter Zoller an den Instituten für Experimentalphysik und Theoretische Physik der Universität Innsbruck sowie am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bringt diese Bemühungen nun noch einen wesentlichen Schritt weiter. Sie haben zum ersten Mal einen umfassenden Baukasten für einen offenen Quantencomputer entwickelt, mit dem in Zukunft größere Quantensimulatoren zur Untersuchung komplexer Aufgabenstellungen konstruiert werden können.

Kontrollierte Störungen erwünscht

Die Wissenschaftler nutzen dazu eine Eigenschaft, die üblicherweise in Experimenten möglichst minimiert wird: Störungen durch die Umwelt. Quantensysteme verlieren durch Störungen gewöhnlich Information und fragile Quanteneffekte wie Verschränkung oder Überlagerung werden zerstört. Die Physik nennt diesen Prozess Dissipation. Die Innsbrucker Forscher um die Experimentalphysiker Julio Barreiro und Philipp Schindler und den Theoretiker Markus Müller verwenden die Dissipation für ihren Quantensimulator aus gespeicherten Ionen zum ersten Mal gewinnbringend, indem sie die Kopplung an die Umgebung künstlich konstruieren. „Wir kontrollieren nicht nur das Quantensystem aus bis zu vier Ionen in all seinen internen Zuständen, sondern auch seine Anbindung an die Umwelt“, erklärt Julio Barreiro. „In unserem Experiment nutzen wir dazu ein zusätzliches Ion, das mit dem Quantensystem wechselwirkt und gleichzeitig einen kontrollierten Kontakt zur Außenwelt herstellt“, erläutert Philipp Schindler. Das überraschende Ergebnis: Durch Dissipation lassen sich Quanteneffekte innerhalb des Systems, wie zum Beispiel Verschränkung, gezielt erzeugen und verstärken. „Dies ist uns durch den gezielten Einsatz des an sich störenden Umweltfaktors gelungen“, freut sich Markus Müller.

Dissipation schafft Ordnung in der Quantenwelt

In einem der Experimente demonstrieren die Forscher den erfolgreichen Einsatz von Dissipation, indem sie mit Hilfe des Umgebungsions vier weitere Ionen vollständig miteinander verschränkten. „Im Gegensatz zu den üblichen Prozeduren funktioniert dies unabhängig von den Anfangszuständen der einzelnen Teilchen“, erklärt Müller. „Durch einen kollektiven Kühlungsprozess werden die Teilchen in einen gemeinsamen Zustand gedrängt.“ Auf diese Weise können Vielteilchenzustände erzeugt werden, die sonst nur in von der Umgebung sehr gut isolierten Quantensystemen hergestellt und beobachtet werden können. Dieser gewinnbringende Einsatz der Umgebung erlaubt es, neue Arten von Quantendynamik zu realisieren und Systeme zu erforschen, die bislang experimentell kaum zugänglich waren. In der Theorie hat in den letzten Jahren ein Nachdenken darüber eingesetzt, wie Dissipation nicht wie bisher nur unterdrückt, sondern aktiv als Ressource für den Bau von Quantencomputern oder Quantenspeichern genutzt werden kann. In enger Kooperation zwischen Theoretikern und Experimentalphysikern in Innsbruck ist es nun erstmals gelungen, diese grundlegenden Effekte in einem Quantensimulator erfolgreich umzusetzen.

Unterstützt wurden die Innsbrucker Forscher unter anderem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Europäischen Kommission und der Tiroler Industrie.