Die beiden Quantenforschungsinstitute der ÖAW in Innsbruck und Wien feiern ihren 20. Geburtstag. Zum Jubiläum spricht Quantenphysikerin Francesca Ferlaino darüber, was die Forschungseinrichtungen so exzellent macht, was Mozart mit Quanten zu tun hat und warum etwas in der Quantenphysik zugleich fest und flüssig sein kann.
Mit 20 sind sowohl die Kinderschuhe als auch die Teenagerjahre vorbei. Man ist erwachsen geworden. Das gilt nicht nur für Menschen sondern auch für Wissenschaftseinrichtungen. Die beiden Institute für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck und Wien feiern im September 2024 ihren Zwanziger. Erwachsen sein heißt in diesem Fall: Beide Institute sidn ein fixer Bestandteil der österreichischen Forschungslandschaft und sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Österreich ein „Quantenland“ geworden ist.
Anders gesagt: Quantenphysik ist auch in der breiten Bevölkerung angekommen: „Viele Leute wissen, was Schrödingers Katze ist, das ist außerhalb von wissenschaftlichen Kreisen nicht selbstverständlich“, sagt Francesca Ferlaino. Sie ist eine der wissenschaftlichen Direktor:innen am IQOQI Innsbruck.
Land der Musik, Land der Quanten
Die IQOQI werden dieses Jahr 20 Jahre alt. Was ist das Besondere an diesen beiden Forschungsinstituten der ÖAW?
Francesca Ferlaino: Ich bin 2014 an das IQOQI in Innsbruck gekommen und war damals sehr aufgeregt, weil ich bei dieser exzellenten Einrichtung eine Chance bekam. Hier haben Forschende die Freiheiten und die Flexibilität, grundlegende Phänomene der Quantenphysik zu studieren und kreative Ansätze zu entwickeln. Die exzellente Forschung steht im Mittelpunkt und wir haben alle Möglichkeiten, um interessante, grundlegende Fragen anzugehen. Wenn ich Inspiration brauche, finde ich am Institut exzellente Kolleg:innen, wie zum Beispiel Peter Zoller und Hannes Pichler. Wir haben mehrere Experimentalgruppen, die ähnliche Technologien verwenden, das ist ein fantastisches Wissensreservoir. Unsere Mitarbeiter:innen sind offen und teilen Know-how und Gerätschaften. Dieses Miteinander ist für mich der größte Vorteil an der Arbeit am IQOQI.
Warum ist Österreich in der Quantenforschung so stark?
Ferlaino: Warum hat Österreich Mozart und viele andere hervorragende klassische Musiker hervorgebracht? Solche Fragen sind schwer zu beantworten, aber vielleicht gibt es eine Affinität in der Bevölkerung für die Quantenphysik. Wenn ich im Alltag mit Menschen plaudere, ist das Interesse meist groß, wenn ich erwähne, dass ich Quantenforschung betreibe. Viele Leute wissen, was Schrödingers Katze ist, das ist außerhalb von wissenschaftlichen Kreisen nicht selbstverständlich. Vielleicht gibt es auch eine Verbindung zwischen der Liebe zu Musik und Gleichungen, eine Faszination für Harmonie und Erkenntnis auf der fundamentalen Ebene.
Wo würden Sie Österreich im internationalen Quantenranking einreihen?
Ferlaino: In der Grundlagenforschung sind wir weltweit sicher unter den besten fünf Prozent. Darauf können wir sehr stolz sein. Die kleine, eingeschworene Forschungsgemeinschaft, die sich in Österreich entwickelt hat, bringt viele Vorteile mit sich. Zwischen den beiden ÖAW-Instituten in Innsbruck und Wien gibt es viele Synergieeffekte und die relative Nähe fördert Kollaborationen zwischen unseren Forscher:innen. Die Förderung der Quantenforschung als Cluster of Excellence durch den Wissenschaftsfonds FWF war ebenfalls entscheidend dafür, dass wir eine kritische Masse von exzellenten Kolleg:innen und Nachwuchstalenten erreichen konnten.
Wo liegen in Österreich die Schwerpunkte?
Ferlaino: Wir haben viele starke Säulen in Österreich, von Quantenoptik über Quanteninformation, Simulationen und Metrologie bis zu Quantencomputern. Das erlaubt uns, auch die Verbindungen zwischen diesen Gebieten besser zu verstehen. Die Gesetze der Quantenphysik sind universal, deshalb kann es sehr wertvoll sein, Kolleg:innen aus anderen Spezialgebieten zuzuhören.
Nobelpreis als Quanten-Booster
Wie wichtig war Nobelpreisträger Anton Zeilinger für die florierende Quantenforschung im Land?
Ferlaino: Seine exzellenten Arbeiten waren sicher von entscheidender Bedeutung für die positive Entwicklung, genau wie seine Fähigkeit, wichtige Grundlagenforschung verständlich zu erklären. Er hat immer versucht, die Bevölkerung abzuholen und das Gefühl zu vermitteln, dass Quantenforschung wichtig für alle ist. Zusammen mit Peter Zoller, Rainer Blatt und Rudi Grimm hat er auch die Grundlagen für die zwei starken Zentren in Innsbruck und Wien geschaffen. Dadurch ist die Forschungsgemeinschaft stetig gewachsen und es sind viele neue Ideen entstanden. Die Pioniere der modernen Quantenforschung in Österreich haben in den vergangenen zehn Jahren zudem an beiden Standorten des IQOQI mitgeholfen, eine neue Generation von Forscher:innen auszubilden, darunter Markus Aspelmeyer, Gerhard Kirchmair, Hannes Pichler und ich. In Innsbruck und Wien werden deshalb auch in Zukunft hervorragende Arbeiten entstehen.
Kann Österreich seine führende Position in der Quantenforschung halten?
Ferlaino: Aus der Quantenforschung entstehen zunehmend auch neue Technologien, die von großen Unternehmen wie Google oder IBM entwickelt und kommerzialisiert werden. Auf dieser Ebene ist es für Österreich sicher schwierig konkurrenzfähig zu sein, weil die Mittel anderswo größer sind. Aber für die meisten vielversprechenden Quantentechnologien fehlen uns derzeit noch wichtige Schlüsselideen, die theoretisch überall entwickelt werden können. Ob man sich auf diesen Wettbewerb einlassen will, ist am Ende eine politische Entscheidung. Was die Grundlagenforschung angeht, ist Österreich heute führend und wird das auch auf Jahre hinaus bleiben. Wir haben exzellente Forscher:innen und das Wissenschaftsministerium unterstützt uns voll.
Neuer Quanteneffekt: Fest, Flüssig, Suprasolide
Wie hat sich die Quantenforschung seit der Gründung des IQOQI entwickelt?
Ferlaino: In Innsbruck haben wir vor allem gelernt, einzelne Quantenobjekte viel besser zu manipulieren und für uns zu nutzen, was für Quantensimulationen und -computer enorme Fortschritte gebracht hat. Der erste Schritt war, genau zu verstehen, wie die Systeme funktionieren. Seit einigen Jahren machen wir den zweiten Schritt und lernen, wie wir Quantensysteme präzise kontrollieren und manipulieren. Zudem wenden wir uns zunehmend komplexeren Systemen zu, die aus einer größeren Zahl von Quantenobjekten bestehen können. Daraus ergeben sich viele neue Möglichkeiten.
Woran hat Ihre Gruppe zuletzt gearbeitet?
Ferlaino: Ich habe mit meiner Gruppe eine Plattform entwickelt, um neue Aggregatzustände von Materie zu erforschen. Wir haben unter anderem einen neuen Aggregatzustand von Materie nachgewiesen, der “Suprasolidität” genannt wird. Dabei handelt es sich um eine kontraintuitive Mischung aus fest und flüssig, die in ultrakalten Bose-Einstein-Kondensaten auftritt und auf Quanteneffekten beruht. Suprasolide Systeme weisen kristalline Bindungen auf, können aber trotzdem fließen. Meine Gruppe verwendet schwere Atomkerne, um solche Systeme zu realisieren und ihre Eigenschaften zu untersuchen.
Haben diese neuen Erkenntnisse schon Anwendungen in der Praxis gefunden?
Ferlaino: Es ist immer schwierig vorherzusagen, welche Auswirkungen Durchbrüche in der Grundlagenforschung haben, aber vor kurzem haben wir eine interessante Entdeckung gemacht: Wir haben wir mit Astrophysiker:innen aus Gran Sasso in Italien zusammengearbeitet, um ein neues Modell für den Aufbau von Neutronensternen zu entwickeln. Ein Neutronenstern von der Größe Innsbrucks hat ungefähr doppelt so viel Masse wie unsere Sonne und unter den extremen Bedingungen dort kann Materie im suprasoliden Zustand vorliegen. Die Neutronensterne, die wir Pulsare nennen, rotieren zudem mit enormen Geschwindigkeiten und senden dabei starke Radiopulse aus. Durch die Strahlung im Radiospektrum und Gravitationswellen verliert der Pulsar mit der Zeit Energie und die Rotation verlangsamt sich. Manchmal sehen wir aber zwischenzeitlich eine plötzliche Beschleunigung der Rotation. Diese sogenannten Glitches können wir mit einem neuen Modell erklären, das einen suprafluiden Kern, eine suprasolide inneren Mantel und eine feste Kruste postuliert. In unseren Simulationen führt die Verlangsamung der Rotation zu Wirbeln in der suprasoliden Schicht des Pulsars, die während eines Glitches die Drehung des Pulsars kurzfristig beschleunigen können.
Gibt es eine Möglichkeit, das Modell zu prüfen?
Ferlaino: Die ÖAW finanziert ein Projekt mit, das uns erlaubt, die Glitches näher zu untersuchen. Die Astrophysiker:innen entwickeln gerade einen Detektor, der Glitches mit hoher Auflösung analysieren kann. Das könnte uns erlauben, unser Modell mit detaillierten Beobachtungen zu vergleichen. Dieser Austausch von Ideen zwischen verschiedenen Disziplinen ist das Schöne an der Grundlagenforschung: Forscher:innen haben tausende Antennen im Kopf, die empfänglich für neue Ideen sind und manchmal bringt ein Ansatz aus einem ganz anderen Gebiet einen unerwarteten Durchbruch.
Auf einen Blick
Francesca Ferlaino studierte Physik in Neapel und Triest. Sie war als Doktorandin und als Post-Doc an der Universität Florenz und am European Laboratory for Non-linear Spectroscopy (LENS) in Florenz tätig. Als PostDoc ging sie u.a. finanziert mit einem Lise Meitner-Stipendium nach Österreich. 2009 wurde sie mit einem START-Preis des FWF ausgezeichnet und konnte einen Starting Grant des European Research Council (ERC) einwerben. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Direktorin am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professorin an der Universität Innsbruck. Seitdem erhielt die zwei weitere Grants des ERC und zahlreiche Auszeichnungen. Seit 2021 ist sie Mitglied der ÖAW.
Die beiden ÖAW-Institute feiern ihr Jubiläum mit einem Festakt, zwei Konferenzen und einem Tag der offenen Tür in Innsbruck am 20. September 2024.
(Quelle: oeaw.ac.at)